Mulungu in Thulamahashe

Mulungu, Mulungu, ruft es an allen Ecken, aus allen Hauseingaengen, wo auch immer ich vorbeikomme, ich bin Mulungu, die Weisse (Mulungu ist ein Wort aus dem Zulu und bedeutet soviel wie „der weisse Schaum auf Wellen“). Ich bin die einzige Weisse in Thulamahashe. Thulamahashe ist nicht unbedingt klein, aber auch nicht unbedingt gross. Die Stadt im Lowveld kurz vor den Toren zum beruehmten Kruger National Park ist eine jener Suedafrikanischen Staedte, die sich waehrend der Homelandbildung in der Apartheid gebildet haeben. Sie ist gepreagt von einem „Zentrum“, mit einer Tankstelle, einem Supermarkt, ein paar Billigkleidergeschaeften, und Filialen der 4 grossen Banken des Landes. Nicht zu vergessen der Minitaxistand, das Zentrum reger Geschaeftigkeit, ein Kommen und Gehen, ein Verkaufen von Obst, Gemuese, Zigaretten und hier, scheinbar besonders beliebt, Stahlwolle zum Reinigen der schweren Gusseisernen Toepfe, in denen das Hauptnahungsmittel des schwarzen Suedafrikas gekocht wird: Papp, klebriger Maisbrei ohne echten Geschmack.

Waehrend sich im Eastern Cape, wo ich 2009 zur Forschung unterwegs war, gerne ein paar Aussteiger-Weisse tummeln, tummeln sich hier oben im Norden an der Grenze zu Mosambique tatsaechlich gar kein Weissen. Der Letzte soll eine Orangenplantage ausserhalb der Stadt im Dorf Hluvukani besessen haben, man spricht noch ueber ihn. Wo er aber geblieben ist, weiss niemand, nur dass die Orangenbaeume den Kochfeuern zum Opfer gefallen sind, das wissen sie. Mich erstaunt diese Weissenlosigkeit nur insofern, als dass sich gerade mal 40 km weiter rund um Hoedspruit ein Eldorado an Mango und Grapefruitplantagen befindet, die vorrangig von Buren (afrikaans sprechende, weissen Farmern) betrieben werden. Bis Hoedspruit haben sich die Weissen damals vorgewagt, danach wurden ihnen das malariadurchseuchte Land zu brenzlig. So zieht sich mitten durch die Provinzen Limpopo und Mpumalanga eine Art Racial line, die sich u.a. in der Landbesitzfrage aeussert. Dort in Hoerdspruit gehoert das Land den Farmern, hier in der Gegend um Thulamahashe, das zur Bushbuckridge Municipality zaehlt, gehoert es den lokalen Chiefs, oder den privtaen Game Reserve Besitzern. Immerhin, inzwischen duerfen sogar die Einwohner hier ihr eignes Land besitzen. Ein Fortschritt.

Aber zurueck zu mir, der Mulungu. Gaebe es nicht schon so viele Selbstfindungsromane von jenen Europaern, die sich aufgemacht haben unter den „Indigenen“ zu leben (was ja scheinbar unwiderruflich das Leben veraendert, so hat man das Gefuehl), so wuerde ich so einen vielleicht schreiben…wenn mir hier nicht am Ende doch alles furchtbar normal vorkaeme. Auch wenn ich das Weiss sein so hervorhebe, so scheint mir dieser schwarze Teil Suedafrikas der schwarz-weisseste Teil, den ich bisher kennengelernt habe. Ich wohne in einem normalen Haus, zwar ohne fliessendes Wasser, aber dafuer mit Fernseher, Kuehlschrank, zwei Elektroherden, Couch und Wohnzimmertisch. Und meinen Mitbewohnern Fikile und Vusi. Alles ist relativ simpel und die Kakerlaken in der eher muffigen Kueche und die Rattentatzen in der Fettpfanne zeigen doch Spuren von „Andersartigkeit“, auch die Simpliziteat der Essgewohnheit (Papp, Fleisch, wenig Gemuese, wenig Obst, viel Toast, Chips und Bier) und die nicht vorhandene Dusche lassen darauf schliessen, dass ich mich nicht in einem deutschen Mittelstandshaushalt befinde, und doch kommt mir hier alles seltsam vertraut vor. Ja, ich bin Weiss, zumindest meine Haut und nein, ich verstehe kein Tsonga (auch Shangaan genannt), und doch fliesse ich im Alltag mit als waere es schon immer so gewesen. Ich werde sehr gelassen auf- oder hingenommen. Nun, ich kenne die Subtexte nicht, aber der Text, den ich verstehe, ist sehr umsorgend und aufnehmend. Kein permanentes Fragen nach Geld, keine Abwehr gegen eine Weisse. Im Vergleich zu meinen vorherigen Erfahrungen 2009 ist es fast wie „being at home“. Ich bin noch dabei zu verstehen, warum das so ist. Was ist hier anders als dort? Meine Einstellung oder die Einstellung der Menschen?  Die gesamte Gegend hier ist gepraegt von den Shangaan, den Sothos, den Swazi und Immigranten aus Mosambique, die waehrend des Buegerkriegs in den 60er Jahren hierher umgesiedelt sind. Liegt die Stimmung hier an deren Einfluss? Mosambique war nicht von der Apartheid betroffen.

Grundsaetzlich sagen die Leute, gaebe es hier wenig(er) Kriminalitaet. Und in der Tat, ich schlafe mit offenen Fenstern ohne Gitter und lasse ab und an die Autotuer auf, in Kapstadt waere das nahezu unmoeglich. Nachts hoere ich Grillen, bellende Hunde und das Trommeln der traditionellen Heiler n der Nachbarschaft. Ein Heilerschueler (twasa) dort kann nicht reden und ist hier, um geheilt zu werden. Ein kleiner schuechterner Man aus Swasiland. Wie er den Weg hierher gefunden hat, wissen nur die Ahnen.

Das Haus, in dem ich ohne, hier im Township von Thulamahashe, gehoert Robert Sebuyi (Sebuyi = Frieden), meinem hm, Gastvater, Forschungsassistent, traditionellen Heiler und einzigem fliessend Englisch sprechenden Begleiter. Meistens fahren wir entweder zu Heilern, interviewen sie so weit es geht, oder ich versuche die lokalen Familenkonstellationen zu verstehen. Robert hat eine Familie, die groesser ist als ein kleines gallisches Dorf. Sein Grossvater hat 11, sein Vater 7, er selber hat 6 Kinder (jeweils mit mehr als einer Frau). Nebenbei scheint noch jeder auf der Strasse ein Cousin zu sein.Vielleicht werde ich deshalb staendig nach meinem Nachnamen gefragt, und stosse dabei oft auf einen etwas verstaendislosen Blick oder auf Gelaechter. Rutert? Wer ist denn das? Ob das anders waere wenn ich Schmidt hiesse? Und was waere wenn ich Dlamini hiesse, ein sehr haeufiger Nachname im Eastern Cape. Nein, ich bin nicht verheiratet (wieder verstaendnislose Blicke) und habe auch keine Kinder( das Verstaendislose sucht nach Verstehen…und akzeptiert). Es gibt sie hier auch, die Kinderlosen. Kuerzlich stellte mich Robert einer sehr erfolgreichen Geschaeftsfrau vor, kinderlos und unverheiratet- sonst waere sie wahrscheinlich weniger erfolgreich- schaute uns an und meinte: „Maybe you two can marry.“ Es war Spass, aber er ist Heiler und die sollen ja einen siebten Sinn haben…..

So vergeht die Zeit hier wie m Flug und tritt irgendwie doch auf der Stelle. Aber sie geht auf Weihnachten zu, mal wieder werde ich bei 35 Grad mit merry christmas and a happy new year beschallt, immerhin gibt es hier keine Schokoladenweihnachtsmaenner, und fuer pinke Barby Puppen fehlt den meisten das Geld, aber es wurde fleissig das gesamte Jahr gespart, um den Weihnachtseinkauf fuer die gesamte Familie einzukaufen. Die Schlangen im einzigen Supermarkt sind lang, gekauft werde Basics wie Reis, Zucker und Waschmittel. Die unzaehligen Hinterhofkirchen und die grossen Kirchen durchschallen Tag und Nacht die huegeligen Siedlungen. Passion ist hier Kirche. Und Bier. Nein, nicht zusammen, aber beides mit Leidenschaft und Hingabe. Und beides taeglich. Kuerzlich war ich mit Fikile in eine dieser Hinterhofkirchen. The Ministry of Power is United. Erstaunlicherweise wurde die gesamte Messe von Frauen gehalten, mit einer aeusserst imposanten Bischoefin, gross, stimmgewaltig, mit gen Himmel gerollten Augen konnte man ihr fast glauben, dass sie in der Lage ist, den Himmel zu beeinflussen und Job-Bewerbungen auf jeden Fall gelingen zu lassen, zumindest wurde sie ihr entgegengestreckten Bewerbungsunterlagen fast flehentlich darum gebeten. Waehrend der Apartheid wurde die Shangaan Kultur sehr segregiert in westliche und ihre eigene Kultur. Das hat sie innerlich so zerrissen, dass die Kirche die Luecke mit ihren Predigten zu fuellen weiss, oder zu manipulieren. Das ist nicht neu. Aber es ist interessant, wie sehr eine neue Generation schwankt zwischen „Tradition und Moderne“, dem Glauben an Gott, an die Ahnen und den Glauben an Automarken, Pop-Stars und Handies. Bei einem Konzert von „General Muska’ (eine lokale Shangaan-Pop Groesse) kuerzlich hatte ich bis auf die Hautfarbe und den Tanzstil nicht das Gefuehl von allzugrossen Unterschieden zu einem DJ Bobo Konzert (nicht, das ich da jemals gewesen waere: )). Dann aber, raus aus der Stadt, rein in die kleinen Haeuser der laendlichen Bevoelkerung, sehe ich alte Strukturen, besonders Geschlechtsunterschiede in der Arbeitsteilung, mit den ueblichen neu dazugehoerenden Statussymbolen, Auto, Fernseher und Coca-Cola. Die Jungen wollen in Joburg IT studieren, wahrend sich die alten den Kopf zerbrechen, wie sie das Feld bestellen sollen oder woher sie noch die traditionelle Medizin kriegen sollen, die sie fuer ihre Patienten brauchen, es gibt wenig Busch im dicht besiedelten Land, und der Zugang zu den Game Reserves ist per Stacheldraht und Kontrolle verboten. Frueher, meinte Roberts Vater, 1946, als er hier angekommen ist, waren noch ueberall Hyaenen, Loewen und andere wilde Tiere. Erfinderisch wie „Afrika aber eben ist“, entwickeln sich permanent neue Entrepreuneurs Ideen, von Heil- und Eco-Tourism ueber Ziegenfarming fuer die hier ansaessigen Pakistanis, die vorranging Geschaeftsbesitzer sind und scheinen besonders gerne Ziegenfleich zu essen bis hin zu Schulen, die „Tradition lehren sollen“.

Es faellt mir auf, wie sehr sich diese Gegend in Transition befindet. Nicht nur „der Westen“ sorgt fuer staendige Veraenderung, auch die Kirche, die eignen Kultur und eine Jugend, die grundsaetzlich andere Ideen von Leben entwickelt. Keiner von denen, mit denen ich geredet habe, hat die Ambition traditioneller Heiler zu werden. Ob das das Aussterben von Tradition bedeutet, oder ob sich Tradition schlichtweg auch in steandiger Bewegung befindet, haengt davon ab, wie die Menschen mit dem Wandel umgehen. Hier, so scheint mir, sind sie jedenfalls aeusserst kreativ im Umgang mit Wandel.

Fuer mich Mulungu ist alles so nah und doch so fern. Ich mache teilnehmende Beobachtung in einem Theaterstueck. Embodiement, um mal ethnologisch zu sprechen, spuere ich dadurch, dass die Hitze mich laehmt, der kuehelnder Regen der Regenzeit mich freut, der vom Papp aufgeblaehte Magen mich aergert und mir meine Zaehne Sorgen machen, bei all den cool drinks, die uns immer aus Gastfreundlichkeit bei den Heilern serviert werden. Cola und Muthi, the tradi-modern Mix. Emodiement auch, weil ich um 21.30h tatsaechlich muede bin, um um 6h morgens wieder wach und nach den ersten zwei Wochen waschen in der Wanne fuehle ich mich seltsam klebrig. Eine Dusche ist einfach das schoenste Luxusgut.

Das ein erster Eindruck aus Thulamahashe Im Norden Suedarfrikas. Es wird wieder heiss heute. Die Mangos fallen kiloweise von den Baeumen. In Deutschland wird es kalt und kaelter, der Gluehwein fliesst und Father Christmas ist am rechten Ort. Es ist und bleibt seltsam fuer mich, dieser in roten Mantel gehuellte, weissbaertige Mann in the heat of Africa. Eine Afrikaans Bekannte mit sehr aufgeklaertem Kopf sagte gestern zu mir: „Christianity is a fuck up“. Ich war erstaunt, sind doch die Buren die staerksten Vertreter der Christlichkeit. Nun, ich stimme mit ihr ueberein, aber moechte auch niemand vor den Kopf stossen. Deshalb: Euch allen gemuetliche und schoene Weihnachten und vor allem, einen ganz schwungvollen und geglueckten Uebergang ins neue Jahr!!!!

8 Gedanken zu „Mulungu in Thulamahashe

  1. Nach dieser detailierten Beschreibung habe ich endlich ein Bild von der Gegend und den Gegebenheiten vor dem inneren Auge. Vielen dank für die Ausführlichkeit. So weiß man plötzlich auch wieder, die eigenen Selbstverständlichkeiten, wie die Dusche, zu schätzen.

  2. Hey Mulungo, halte durch und erfreue die Nachbarn mit Geschichten aus Deiner anderen Welt.
    Vielen Dank für die Einblicke und einen guten Rutsch ins 2012.

  3. Ich lese ja nun mal nicht gerne, aber wenn Du etwas beschreibst ist es einfach nur toll.
    Man fühlt sich dabei als wenn man dort wäre. Darum bitte schreib weiter, denn so macht lesen spass.

  4. Grandiose Impressionen und Reality ohne Soap aus einer weit entfernten Ecke dieser Erde. Und ich sehe: Kennen kenne ich nur einen kleinen Teil des Erdballs und mit dem Verstehen ist es ebenso.
    Der Bloggerin wünsche ich weiterhin alles Gute, offene Augen und Ohren in dieser Umgebung – und uns Lesern, dass wir bald wieder einmal etwas von Mulungu erfahren.

Hinterlasse einen Kommentar